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Neues Normal

Das neue Normal

Die Disruption, die durch COVID-19 herbeigeführt wurde, hat viel verändert. Seitdem wird viel über das neue Normal diskutiert. Soll das alte wirklich das neue „Normal“ bleiben? Halten wir trotzdem an unseren Verhaltensmustern fest. Oder ist jetzt die Chance für mehr Nachhaltigkeit gekommen?

Vor kurzem wurde eine Studie veröffentlicht, die zum Ergebnis kam, dass Überfluss die größte Bedrohung für unsere Welt sei. Die Wissenschaftler*innen aus Australien, der Schweiz und Großbritannien sind sich darin einig, dass technologischer Fortschritt nicht ausreiche, Probleme wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und Artensterben zu lösen, sondern dass es auch grundlegende Veränderungen in unserem auf Überkonsum basierendem Lebensstil brauche. Die Studie reiht sich ein in eine lange Liste von Reporten, wissenschaftlichen Studien, Essays, Artikeln, Fernseh- und Radioberichten. Klare Worte wohin man schaut. Und dennoch scheint eine entscheidende Veränderung unseres Konsumverhaltens weiter entfernt denn je zu sein. Das neue Normal?

Überfluss ist die größte Bedrohung für unsere Welt. Das muss sich ändern.

Im Wirtschaftsteil der ZEIT ist Anfang Juli die Serie „Die Wende zum Weniger“ gestartet. Sie bietet einen guten Überblick, was die wichtigsten Denker*innen wirtschaftspolitisch diskutieren und vorschlagen. Darunter der Nobelpreisträger Robert Solow, Tim Jackson, Dennis Meadows und Mariana Mazzucato. Für viele Unternehmer*innen liegt vielleicht genau darin das Problem, dass sich vor allem Denker*innen dazu äußern. Zuerst denken, dann handeln ist vermutlich aber doch die bessere Reihenfolge als umgekehrt. Ökonom*innen schreiben also darüber, ob es auch anders gehen könnte und wie eine Wende gelingen kann. Sie sind sich durchaus nicht in allem einig, aber doch in vielem. Das Thema ist hochkomplex, schnelle und einfache Antworten sind nicht zu haben. Einig aber sind sie sich darin, dass, wenn wir die Wende nicht von uns aus hinkriegen, uns die Auswirkungen unseres bisherigen Handelns dazu zwingen werden, und das wird voraussichtlich sehr viel unangenehmer.

Die Auswirkungen unseres bisherigen Handelns werden uns zu einer ‚Wende zum Weniger‘ zwingen.

Neues Normal

Schwenk von der großen Bühne auf die kleine Alltags-Bühne.

Letzte Woche habe ich zwei Säcke an Kleidungsstücken ausgemistet. Schön sortiert für den Secondhand-Laden, die Kleiderkammer und den Container. Dabei waren auch einige Sachen, die ich erst vor kurzem gekauft habe. Keine neuen Sachen, sondern Secondhand. Sie fanden keinen langfristigen Eingang in meinen Kleiderschrank. Das ist mir unglaublich auf die Nerven gegangen. Immerhin beschäftige ich mich seit längerem mit nachhaltiger Mode, Konsumthemen und alles was da so dazugehört. Und dennoch kaufe ich immer wieder mal was zu viel oder zu impulsiv. Verhaltensveränderungen sind schwierig. Sehr schwierig. Aber unmöglich sind sie nicht.

Verhaltensveränderungen sind schwierig, aber nicht unmöglich.

Ich unterhalte mich dazu immer wieder mit dem Verhaltensbiologen Kurt Kotrschal. Zuletzt in einem Radiogespräch für meine Sendung „Wie geht Zukunft?“. Kotrschal hat kürzlich zwei sehr spannende Bücher zur „conditio humana“ geschrieben: „Mensch. Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“  und „Sind wir Menschen noch zu retten? Gefahren und Chancen unserer Natur“. Wie wenig wir über uns selbst wissen ist leider nicht gerade rühmlich. „Es wäre an der Zeit, innezuhalten und in den Spiegel zu schauen. Der Lösungsnotstand wurzelt erheblich in einem Notstand der Selbsterkenntnis“, schreibt Kurt Kotrschal. Besser Bescheid zu wissen, und zwar auf Basis der letzten evolutionsbiologischen Erkenntnisse, wäre also schon mal ein guter erster Schritt.

Besser Bescheid zu wissen, wäre ein guter erster Schritt in Richtung Verhaltensänderung.

DIE ZEIT begleitet ihre Serie auch mit einer repräsentativen Umfrage und die findet heraus, dass der Umsatz im Einzelhandel im Mai stärker stieg, als er im April gefallen ist. Und eine überwältigende Mehrheit feststellte: Wir wollen weiter konsumieren wie gewohnt. Allerdings gibt eine Mehrheit auch an, in der Pandemie erkannt zu haben, dass es wichtigeres gibt als Konsum. Ob es dann für einen realen Wandel weniger oder kein oder sogar ein Negativ-Wachstum braucht oder dass es zwar Wachstum braucht, aber es nachhaltig, grün und inklusiv sein muss, das muss politisch entschieden und umgesetzt werden.

Auch wenn viele weiter konsumieren wollen wie gewohnt – wir als Konsument*innen können an unserem Verhalten arbeiten.

Für uns Konsument*innen aber plädiere ich dafür, dass wir an unserem Verhalten arbeiten. Auch wenn nicht alles immer gelingt. Und auch wenn es ab und an sehr mühsam ist. Gute Lektüre kann helfen den Kurs und auch die Sinnhaftigkeit unseres Tuns nicht aus den Augen zu verlieren. Denn, davon bin ich trotz allem überzeugt, es kann anders gehen. Und dann bleibt das alte auch nicht das neue Normal.

Text: Susanne Barta